Intelligente Sensorsysteme in digitalen Industrieapplikationen
Liebe Leserinnen und Leser,
Vereinsarbeit gestaltet sich derzeit schwierig. Seit einem halben Jahr sind konstruktive Meetings, Seminare, Konferenzen und ähnliche Veranstaltungen in der gewohnten Form nicht mehr möglich, und wir erschließen uns alle die virtuellen „Ersatzvarianten“, um halbwegs in Kontakt mit Fach- und Berufskollegen, Lieferanten und Kunden, Projekt- und Forschungspartnern zu bleiben. Neue Kontakte zu knüpfen, ist unter diesen Bedingungen noch schwieriger als den Bestand zu erhalten.
Wie Sie alle wissen, war das Frühjahrsseminar eine der ersten Veranstaltungen, die wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden musste. Dafür hatte Herr Prof. Dr.-Ing. Martin Sellen von der Micro-Epsilon Messtechnik GmbH & Co. KG einen Vortrag vorbereitet, in dem er über „Intelligente Sensorsysteme in digitalen Industrieapplikationen“ gesprochen hätte. Er hat uns freundlicherweise ein paar Inhalte daraus zur Verfügung gestellt. Die Micro-Epsilon-Gruppe hat industrielle Lösungen für vielfältige Anforderungen präziser Wegmessung unter verschiedenen Einsatzbedingungen gefunden. Was alle Beispiele eint, ist Präzision unter sehr anspruchsvollen Bedingungen. Zu den Kernbranchen gehören Maschinenbau (Fertigungsmaschinen, Messtechnik & Prüfsysteme, Werkzeugmaschinen, Fördertechnik, Halbleiter, Elektronik-Fertigung), Mobilität (Automotive, Schiffbau, Schienenfahrzeuge, Aerospace), Prozessindustrien (Metall, Glas, Kunststoff, Papier, Reifen & Gummi), Medizintechnik und weiße Ware.
Bei Micro-Epsilon werden verschiedene Messprinzipien zur Wegmessung eingesetzt, die ihre Vorzüge entsprechend der Anwendung und den Bedingungen ausspielen können. In rauen Umgebungen werden oft keramische Schaltungsträger eingesetzt, die im speziellen Fall auch das eigentliche sensitive Schaltungselement enthalten können. Möglich wird das zum Beispiel im Falle der Wirbelstrom-Messtechnik durch die ECT – Embedded Coil Technologie, bei der Spulen direkt im Keramikträger monolithisch integriert sind. In der Spule wird ein primäres elektromagnetisches Feld erzeugt, welches ins Messobjekt eindringt. Im elektrisch leitfähigen Messobjekt entstehen Wirbelströme, die ein entgegengesetztes Sekundärfeld generieren. Sensor, Kabel und Elektronik bilden häufig einen Schwingkreis mit der Frequenz f0. Die resultierende Abschwächung des Primärfeldes hängt u. a. auch vom Abstand zwischen Sensorspule und Messobjekt ab. Damit lassen sich letztlich Distanzen präzise berührungslos messen. Messprinzip Wirbelstrom-Distanzmessung
Eine weitere tragende Säule ist die kapazitive Messtechnik, bei der ebenfalls keramische Aufnehmer mit oder ohne integrierte Elektronik eingesetzt werden. Das Messprinzip kapazitiver Sensoren folgt dem Prinzip des idealen Plattenkondensators. Es ist auch eine Messung gegen Isolatoren möglich, ebenfalls berührungslos und mit höchster Genauigkeit und Stabilität. Es werden Auflösungen von <50pm und Temperaturstabilitäten unter 10ppm d.M./K erreicht. Weitere Vorteile sind die physikalische Linearisierung, sodass häufig keine Justage erforderlich ist, und eine große Vielfalt an möglichen Sensorgeometrien.
Einige Applikationsbeispiele für diese Messprinzipien sollen im Folgenden kurz dargestellt werden:
European Extremely Large Telescope– EELT
Das planmäßig 2024 fertiggestellte Riesenteleskop wird das mit Abstand leistungsfähigste optische Teleskop der Welt sein. Die Gesamtfläche seines Hauptspiegels wird dann 978m² betragen. Er wird aus 798 sechseckigen etwa 1,4m breiten Segmenten bestehen. Das E-ELT soll u. a. Informationen über Exo-Planeten und deren Atmosphäre liefern, sowohl über indirekte Nachweismethoden als auch direkt über Bilder.
• Standort in den chilenischen Anden auf 3.060m üNN
• Kosten min. 1,2 Milliarden EURO
• Vermessung der 798 Hauptspiegelsegmente zueinander
• Transformatorisches Wirbelstrom-Messprinzip; 6 Sensoren pro Segment
• Z: +/- 200µm (Piston), X: 2.5 – 5.5mm (Gap), Y: +/- 2mm (Shear)
• Linearität: < 10nm für 1µm Verfahrweg; Auflösung: < 1nm; Messrate: 500Hz
• Temperaturstabilität: < 5nm/K [0°C – 25°C]
• Luftfeuchtestabilität: < 10nm/50% r.H. [5% – 80% r.H]
• Langzeitstabilität: < 10nm/Woche
EUV Lithographie Multi-Sensorik, Aktorik, Regelung
Zahlreiche Sensoren erfüllen Aufgaben zur Überwachung und Regelung von Positionen in Halbleiterlithografiemaschinen der neuesten Generationen. Die Technik muss hier im Reinstraum unter dem Einfluss von Hochvakuum, EUV-Licht und Ionenbeschuss extrem zuverlässig arbeits- und überlebensfähig sein. Ungewöhnliche Materialpaarungen werden hermetisch verbunden und sorgen dafür, dass weder der Sensor seine Umgebung in der Maschine kontaminiert, noch dass er in der schwierigen Messumgebung Schaden nimmt. Für die Maschinen sind sie jeweils entsprechend der Aufgabe hochspezialisiert und kommen als Actuator-Sensor-Package (ASP: FFM positioning), Init Sensor (POB mirror initialization), SSDiff Sensor (Short Stroke position sensing), Levi-Z-EUV Sensor (measurement of Long Stroke), LA/Rz-EUV Sensor (Linear Axis / Rz), Airmount Sensor (position sensing in damper system) zum Einsatz.
Industrielle kapazitive Wegmesstechnik
Die Produktfamilie Capa Industrial zeichnet sich aus durch:
• Hohe Modularität – Plattform-Entwicklung mit erweitertem Einsatzbereich
• Basierend auf Standard-Katalogsystem (Metall, ECT, flach,…)
• Große Anpassungsfähigkeit; z. B. IP68, trittfeste Kabel, Tief- und Hochtemperatur
• Vorkonfigurierte Systeme mit Spaltsensoren
Zum Einsatz kommen die Sensoren beispielsweise bei der Luftspaltmessung an Windrädern als robuste, sehr flache Sensorik mit langer Lebensdauer zur frühzeitigen Verschleißerkennung.
Auch in Bremsscheibenprüfständen und als robuster Mehrkanal-Sensor für Prüfstand und Fahrversuch in der Fahrzeugentwicklung und -fertigung kommen solche Sensoren für die Messung der thermischen Ausdehnung der Bremsscheibe und der Messung des Abtrags der Bremsscheibe pro Bremsvorgang zum Einsatz. Vorteile sind hierbei, die geringe Temperaturdrift, dass der Sensor keinem Einfluss durch Änderung der Leitfähigkeit unterliegt, leicht montier- und demontierbar ist, seine Robustheit in schwieriger Messumgebung sowie die weitgehende Materialunabhängigkeit des Messobjekts.
Nicht zuletzt sei eine kapazitive Sensorfamilie für den Einsatz im Teilchenbeschleuniger benannt. Elektronen werden dort auf hohe Energien gebracht und in speziellen Magnetanordnung so stark beschleunigt, dass sie Licht aussenden. Gemessen wird der Abstand der Magnetpole zur Vakuumkammer (Gesamtlänge: 3,4km). Hier dienen die Sensoren als eine Art „Wasserwaage“ für die großen Zentrifugalbeschleuniger. Messanforderungen sind: Messbereich 0,1mm, Stabilität 0,5µm/Woche, Auflösung 0,1µm, Ausführung ECT Multisensorik, Messung gegen Wasseroberfläche.
Sensoren auf Basis von ECT sind für viele Applikationen in der Lage, Forderungen nach hoher Präzision und Signalstabilität mit anspruchsvollen Umgebungsbedingungen in Einklang zu bringen. Ihre monolithische Bauweise und anorganische Natur können Hindernisse überwinden, vor denen traditionelle Anordnungen für elektronische Schaltungen und Messwertaufnehmer häufig stehen. Ihre Hermetisierbarkeit und außergewöhnliche Lebensdauer bringt weitere Vorteile und Einsatzmotivationen mit sich.